Die Wiederkehr des Körpers

 

Immer bin ich Körper, vergesse es wirklich selten, selbst auf der Rolltreppe nicht.

 

Eine junge, fröhliche Frau, die ich nicht kenne, geht auf der Straße an mir vorbei und trägt eine Fahrradpumpe. Das Leben erleichtern mit Dingen und Werkzeug. Leichter, einfacher durch das Leben kommen.

 

Praterstern Wien, 2 Rolltreppen streiken. Dieses Aufstöhnen der Menschen vor der kommenden Anstrengung am Beginn der Stufen, obwohl sie alle gehen und Treppen steigen können. Anstatt sich für den Körper zu freuen, der es genießt, bewegt zu werden.

 

 

Einfach nur sitzen. Einfach nur sein. Körper sein.

Burgtheater-Eingangshalle. Ich bin früh dran, gönne mir ein Getränk, trinke Schluck für Schluck, ich mit mir, einen Weißwein.

 

Dadurch, dass Joachim, der Bestseller-Autor, so wertschätzend von einer Liebe, der Liebe zu einer Tänzerin, der Liebe zur Tänzerin Franka schreibt, fühle ich mich, die ich Tänzerin bin, gleich ein bisschen mitgeliebt.

 

Im Theatersaal bin ich eine von unzähligen vielen, es ist ausverkauft, immer wieder erschauere ich, halte mich aber gut davon ab, am Sitz hin und her zu scheuern. Vor innerer Nervosität. Ich bin sozusagen stellvertretend nervös, für den, der auf der Bühne sitzt und liest. Ich möchte inmitten der vielen gesehen und erkannt werden, gleichzeitig weiß ich, dass das unmöglich ist. Ein ungleichmäßiger Atem liegt über dem Raum, alle lebendig, alle am Leben.

Zum Schluss wird herzlich applaudiert. Ich bleibe im Burgtheater und zögere, zum Autogrammtisch zu gehen, möchte mich dann aber nicht in die endlos lange Menschenschlange reihen und schlendere alleine an die Bar.

 

Wieder sitzen und in die Menschenmenge schauen. Warum bin ich hier, alleine, wo ich nach Hause und in das Vertraute fahren könnte, zu meinen Kindern, zu meinem Mann. Warum bleibe ich dennoch hier sitzen? Alleine, inmitten von vielen.

 

Der Kopf denkt vernünftig und gibt den Impuls zum Aufbruch

(nach Hause), doch mein Körper bleibt sitzen.

 

Und da wird mir wieder bewusst, dass wir zweierlei Denken haben: ein geistiges und ein körperliches. Und auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, so ist das körperliche Denken doch das Stärkere.

 

Wir haben nicht einen Körper – wir sind ein Körper. Wieso aber wird das Geistige so über all das gestellt, was mit unserer Körperlichkeit zu tun hat?

In der zu meinem Wohnort nächstgelegenen Kirche, in die ich gerne gehe, hält genau der eine Pater eine Messe, den ich wegen seiner konservativen Ausstrahlung so gar nicht annehmen kann. Am Ende der Predigt ruft er zu „Keuschheits-Tagen“ auf – im 21. Jahrhundert. Ich verschränke die Arme und überlege, ob ich zu ihm gehen und ihm die Frage stellen soll, wann er denn zu „Lustheits-Tagen“ auffordern werde.

 

Und warum solle man noch einmal den anderen „geistig lieben“? Warum soll man laut der Kirche „voller Liebe sein“ - das alles aber rein geistig, - wo man doch gerade die Liebe so gut körperlich empfinden kann (Ach!).

 

Wieder an der Luft blicke ich auf und schaue einfach. Und der Blick, der sich mir bietet, ist gigantisch: Alles, der ganze Himmel scheint ein Standbild zu sein, keine Wolke zieht vorüber, aufgebauscht scheinen die Wolken in den Himmel gemalt, das Licht ist hell und blendet ein bisschen. Und die Wut von vorhin verflüchtigt sich bei diesem Schauen.

 

Wer sieht mich von dort oben? Welche Seele schwebt gerade an mir vorbei?

Körper. Und Seele. Und Geist.

 

Ilse ist gestorben. Wie eine Reise stelle ich mir das Verschwinden von der Welt vor. Wie ein sanfter oder abrupter, ruckelnder Übergang. Und dass es unterschiedlich lange dauert, bis man angekommen ist.

Das hängt davon ab, wie man stirbt, wie die letzte Minute verbracht wird, ob ausgehaucht oder plötzlich abgebrochen.

 

 

Kinder bringen alles ans Licht. Mit einer Zielsicherheit ziehen sie Dinge aus versteckten Winkeln hervor und machen Verdrängtes und Verborgenes sichtbar.

Bei einer nahen Freundin entdecken meine Kinder im Spielen eine Ananas-Lampe, mit der sie Licht machen. Im letzten Winkel unter dem Stockbett war sie verstaut und sollte sie, die Freundin, länger nicht an den Mann erinnern, der ihr die Lampe geschenkt hat. Aber Kinder bringen alles ans Licht – mit einer Treffsicherheit.

 

Die Spuren der Kinder sind noch fühlbar, auch wenn sie schon an diesem Morgen in Kindergarten und Schule sind. Ich hebe zusammen gewurschtelte T.shirts auf und schüttle die Decken auf.

 

 

Körperlich lieben. Seiten über Seiten könnte ich füllen über das Verschmelzen zu zweit, - tue es aber nicht, so ein Moment gehört nur uns. Und wenn ich alleine bin, gehe, unterwegs bin und mich erinnere, genieße ich, dass so ein ineinander verschmolzener Moment jetzt alleine mir gehört. Und nicht durch Erzählungen und Details und Beschreibungen mehr und mehr denen mit gehört, denen ich erzählen würde und sie so einbinde.

 

Glück. Gemeint sein. Gesehen werden. Erkannt werden. In seinem Inneren berührt sein.

 

Wo liegt das Glück nach 13 gemeinsam verbrachten Jahren?

In den kleinen Dingen, in den einfachen, schnörkellosen Momenten.

In den Umarmungen, in der Küche stehend und nach Schlaf riechend.

In dem gemeinsamen Lachen über einen gar nicht mal so gelungenen Witz.

In dem gemeinsamen Staunen über die Kinder.

In den Begegnungen in der gemeinsamen Wohnung und im eingehakten Schlendern zu zweit durch einen gut sortierten Essens-Supermarkt.

 

Über den Körper denke ich viel nach, über die Empfindungen des Körpers. Über das Intuitive, das Wahrnehmen und Genießen.

 

Mein Onkel hat Schwierigkeiten mit den Augen. An manchen Tagen fürchtet er, blind wie ein Maulwurf zu werden.

Ich glaube einfach, dass mit Erlebnissen, Erfahrungen und Verdrängungen etwas mit dem Körper in Verbindung zu bringen ist.

 

Das Krankwerden in mir habe ich meist nicht so gut mitbekommen, aber das Gesundwerden in mir, das habe ich immer deutlich gespürt.

 

Das Abfallen der Schwere in mir, das Erhellende meiner Gedanken, die wiedergewonnene Leichtigkeit und Hoffnung. All das habe ich deutlich in Erinnerung.

 

Und auch das leichte Nachschwingen der Schritte in den guten Zeiten, der beinahe hüpfende Gang, die Fröhlichkeit in den mitschwingenden Armen.

 

Eine Überschwenglichkeit der Liebe, wenn meine Kinder bei mir liegen und wir uns gegenseitig wärmen. Johann gibt kichernde, freudige Geräusche von sich, wenn er sich zu mir unter die Decke kuschelt, Florentin möchte am Rücken gekrault werden.

 

Dass diese für sich stehenden, eigenständigen Wesen am Beginn ihrer Zeit in mir herangewachsen sind, ist unbeschreiblich, ist groß, ist unvergesslich.

 

Körper sein. Empfinden. Lebendig sein, leichten, federnden Schrittes und voller Zuversicht.

 

 

 

 

 

 

 

Suni Löschner

 

Winter 2017

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